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AutorenbildHans Rusinek

Der Weltuntergang wird abgesagt

Wir gehen den Wandel völlig falsch an, sagt der Transformationsforscher Hans Rusinek. Anstatt die Apokalypse herbeizureden, brauchen wir klare Maßnahmen und die Einsicht, dass Veränderungen auch positiv sein können.


Visionen der Kontinuität statt des Wandels

1. Bewahrende Visionen

Die Uni Amsterdam entdeckte jüngst ein Paradox: Um Menschen zu Veränderung zu bringen, muss man betonen, was dadurch erhalten wird. Visionen der Kontinuität statt des Wandels. Wir sind kognitive Faulpelze und geben Verhaltensstrategien selten auf. Schuld ist die Biologie, jede Zelle strebt auf Selbsterhalt. Umdenken verbraucht zu viel Energie. Kommt eine Chefin oder eine Klimaaktivistin und fordert den digitalen oder ökologischen Umbruch, dann ist das kognitiv verdammt unentspannt. Betont sie aber, dass es darum geht, den Job bis zur Rente machen oder weiterhin im Wald spazieren zu können, sieht die Nummer anders aus. Her also mit den Visionen der Kontinuität.




Positiv denken, statt den Untergang herbeizurufen

2. Anti-Apokalyptik

Diesen Visionen hilft es, wenn wir endlich aufhören vom totalen Ende der Welt zu sprechen. Britisch-nüchtern bringt es der Economist auf den Punkt: Der Klimawandel ist nicht das Ende der Welt, die Menschheit steht nicht vor der Auslöschung, der Planet erst recht nicht. Definitive Superlative regen nur Resignation an. Was korrekter ist und zum Handeln führt, ist: Der Klimawandel ist nicht das Ende, aber: All das, was unser Leben angenehm macht, kann verloren gehen.


So ein Blick lässt sich nicht auf Transparente malen, er ist besser: Er funktioniert. So gewinnen wir Handlungsräume. Die Firma ist verloren wegen der Digitalisierung, ich werde an Fettleibigkeit sterben, weil ich heute nicht joggen war – nicht so motivierend. Ohne Digitalisierung wird die Arbeit eintöniger, ohne Joggen werde ich grantiger – das wirkt. Lasst uns nicht die Zukunft kolonialisieren, wie die Philosophin Patricia Viera es nennt, wenn diese in ein fixes Bild für Gegenwartsinteressen verwandelt wird. Lasst uns den Weltuntergang absagen. Denn was untergegangen ist, lässt sich auch nicht mehr verändern.



Wir wollen mehr von dem guten Zeug

3. Lustvoller Optimismus

Wer im Gesundheitsbereich arbeitet, kennt es: Menschen lassen sich nicht für Themen begeistern, die nur darin bestehen, Schlechtes abzuwenden. Wir wollen mehr von dem guten Zeug, den Rest blenden wir aus. Gesundheitsvorsorge? Langweilig. Die Psychologie unterscheidet Vermeidungs- und Annäherungsziele. Vermeidungsziele motivieren nicht. Wie wir Wandel denken, ist aber dominiert von abstrakten Gefahren.


Wie wäre es stattdessen von Annäherungszielen, von echten positiven Bedürfnissen zu reden? Wenn wir den Klimawandel aufhalten, können wir mit den Enkeln noch den Harz genießen, wenn ich jogge, kann ich besser schlafen und wundervoll träumen. Die Firma Beyond Meat hat es begriffen: Sie führt ihre Burger nicht im Veggiregal, sondern nur im Fleischregal. Keiner soll den Geschmack der Entsagung auf den Lippen führen, jeder eine lustvolle Entscheidung zum Wandel treffen. Lasst uns Transformation so begeisternd denken, und nicht einschüchternd!



Der Wandel selbst ist gar nicht das Problem

4. Radikale Klarheit

Wussten Sie, dass die Unabhängigkeit Indiens und damit das Ende des British Empires mit dem Protest gegen eine Salzsteuer anfing? Gandhi begann damit, weil er sah, dass nur eine klare Frage das Land vereinen und das Monopol der Briten brechen könnte. Klarheit ist der Schlüssel für Wandel, gerade für großen. Denn schaut man genau hin, ist der Wandel selbst gar nicht das Problem, sondern das, was davor kommen muss: Ein gemeinsamer klarer Entschluss.


Denken wir Wandel zu unscharf, zögern wir. Welche 10.000 Maßnahmen machen mich wirklich nachhaltiger? Sagen Sie jetzt nicht: ‚Nur alle zusammen und sofort‘! Denn wer alles auf einmal will, macht gar nichts. Eine klare Maßnahme aber baut bereits Tempo und Erfolgserlebnisse auf. Wer sagt, dass wir für diese Babysteps keine Zeit haben, verkennt, dass sich sonst gar nichts tut. Und das können wir uns echt nicht leisten.


Dieser Artikel ist am 29. November 2019 im Magazin Deutschlandfunk Kultur erschienen.




Autor: Hans Rusinek

Hans Rusinek beschäftigt sich mit Transformation der Wirtschaft und Zukunft der Arbeit als Forscher, Berater und Autor. Er promoviert in St. Gallen am Institut für Wirtschaftsethik zu Sinn und Arbeit. Als Berater hilft er Organisationen ihren größeren Sinn, ihren Purpose, zu finden und zu leben. Als Autor ist er einer der Chefredakteure von Transform, einem Printmagazin, das sich mit Fragen nach Lebensglück, Nachhaltigkeit und gesellschaftlichem Wandel beschäftigt und Träger des Förderpreises für Wirtschaftspublizistik der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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